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Erklärungsnöte |
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Gern verschwiegen: Die Wettbewerbsvorteile der deutschen
Wirtschaft auf dem Weltmarkt |
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Manchmal können gute Nachrichten richtig ungelegen kommen, so
wie Anfang der Woche die neuesten Zahlen der Welthandelsorganisation WTO
und ihrer ungeliebten, weil demokratischeren Schwester, der UN-Konferenz für
Handel und Entwicklung UNCTAD. Gerade hatten die Spitzen der deutschen
Wirtschaft eine herzzerreißende Jammerkampagne gestartet, da vermasseln
die Statistiken der beiden Organisationen ihnen die Show. Scharenweise würden
deutsche Unternehmen ins nahe gelegene Billiglohnausland abwandern, hatte
der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Ludwig
Georg Braun, gedroht, wenn nicht endlich ordentlich »reformiert« wird,
sprich, Löhne und Gehälter noch weiter gedrückt werden. Auch der ganze
Umweltschutz, sekundierte BDI-Chef Michael Rogowski, störe ganz ungemein
bei der Entfaltung der freien Unternehmerpersönlichkeit.
Doch siehe da: Der deutschen Wirtschaft und dem angeblich so schwindsüchtigen
»Standort Deutschland« geht es prächtig. Der Patient stellt sich als
Hypochonder heraus, der gar nicht weiß, wo er mit all seiner Kraft und
Vitalität, also seinem überschüssigen Kapital, hin soll. Daß
Deutschland sich 2003 erstmals seit Anfang der 1990er wieder den Titel des
Exportweltmeisters ergattern würde, zeichnete sich bereits im letzten
Herbst ab. Mit der neuen WTO-Statistik haben wir es schwarz auf weiß:
Waren im Wert von 748,8 Milliarden US-Dollar (624 Milliarden Euro nach
aktuellem Kurs) wurden 2003 ausgeführt. Die Exporte des auf Platz zwei
verwiesenen Hauptkonkurrenten USA stiegen hingegen bloß um vier Prozent
auf 724 Milliarden US-Dollar.
Besonders beachtenswert ist dabei das Umfeld, das von den neuesten
WTO-Statistiken erhellt wird. Die deutschen Exporteure haben nämlich
nicht nur mit dem stark expandierenden Weltmarkt mithalten, sondern sogar
noch Marktanteile (zurück)erobern können. Um 4,5 Prozent wuchs im
letzten Jahr der Welthandel, die deutschen Exporte aber sogar um 22
Prozent. Das bescherte den Berufspessimisten beim BDI einen
Weltmarktanteil von sagenhaften zehn Prozent.
In Erklärungsnot gebracht, versuchen derweil die Propheten des
Sozialkahlschlags den Erfolg kleinzureden. Hans-Werner Sinn, Chef des
Ifo-Instituts, verweist zum Beispiel darauf, daß der starke Anstieg auf
Dollar-Basis ja nur der Aufwertung des Euros geschuldet sei. Doch das
Argument hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Rechnet man die
Inflation raus und gibt den Wert der Exporte in der jeweiligen Landeswährung
an, dann stiegen die deutschen Ausfuhren immer noch um 4,9 Prozent, die
der USA aber nur um 1,4 Prozent. Der Vergleich zeigt übrigens auch, daß
die hiesige Exportwirtschaft nicht nur die US-Konkurrenz, sondern auch die
aller anderen großen Industriestaaten mit Ausnahme Japans hinter sich
gelassen hat. Nippons Exporteure waren die einzigen, die mithalten konnten
und ihre Ausfuhren um 4,8 Prozent steigerten.
Hat man das Gejammere von Rogowski, Braun und anderen im Ohr, dann sollte
man meinen, die deutsche Erfolgsstory sei vom Himmel gefallen. Dabei ist
die Erklärung ganz simpel. Das Rezept: bescheidene Gewerkschaften in
Verbindung mit hervorragender, staatlich finanzierter Infrastruktur und
hoher Produktivität. Nicht erst seit letztem oder vorletztem Jahr halten
sich hiesige Gewerkschaften im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen großen
Industriestaaten stark zurück, sondern schon seit Jahrzehnten. Ein Blick
in das Zahlenwerk der OECD (Organisation for Economic Cooperation and
Development, Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung) ergibt Verblüffendes: Mit lediglich zwei oder drei Ausnahmen
fällt seit Mitte der 1970er hierzulande die Erhöhung der Löhne und Gehälter
in der Privatwirtschaft Jahr für Jahr niedriger aus als im
EU-Durchschnitt. Auch im Vergleich zu den USA fast das gleiche Bild.
Lediglich Anfang der 1990er stiegen für ein paar Jahre zwischen Rhein und
Oder die Einkommen etwas schneller als jenseits des Atlantiks.
Kein Wunder, daß sich angesichts dieser paradiesischen Zustände fürs
Kapital auch ausländische Unternehmen im Lande der Exportweltmeister
zunehmend wohler fühlen. Im Jahre 2002, berichtet die UNCTAD, haben die
ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland um 50 Prozent auf 35,635
Milliarden Euro zugenommen. Damit stand Deutschland im internationalen
Vergleich immerhin an vierter Stelle der Empfängerländer. Herkunftsländer
waren übrigens entgegen landläufiger Meinungen nicht in erster Linie die
USA, deren Unternehmen hierzulande nur eine untergeordnete Rolle spielen,
sondern vor allem die anderen EU-Staaten, allen voran die Beneluxländer.
Auch das deutsche Kapital – von dem es aufgrund des exorbitanten
Handelsbilanzüberschusses von zuletzt 122,25 Milliarden Euro reichlich
gibt – drängt in die Ferne. Doch anders als man vermuten könnte, geht
nur ein kleiner Bruchteil davon in osteuropäische oder asiatische
Billiglohnländer. Das Gros des deutschen Kapitalexports fließt nach
Westeuropa oder in die USA. Kein Wunder, daß die ganze Diskussion über
Abwanderung versus Patriotismus sofort wieder verstummt ist. Angesichts
des herausragenden Wettbewerbsvorteils der deutschen Wirtschaft haben die
Sozialräuber von BDI und DIHK erhebliche Erklärungsnöte. Aber
offensichtlich – und das sollten sich alle Immer-noch-Sozialpartner und
andere Keynesianer besonders vor Augen halten – ziehen sie aus ihrer
Stellung im Weltmarkt auch die Kraft, mit der sie hierzulande auf die
Lohnabhängigen einschlagen. |
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