|
|
DIE ZEIT52/2004
Die Geier sind da Banken verkaufen ihre notleidenden Kredite an spezialisierte
Fonds – und die kennen kein Pardon mehr mit den Schuldnern Görlitz, Ende November. Drei Männer und eine Frau im unauffälligen
Businesslook steigen aus einem VW-Bus, betrachten ein vor ein paar Jahren
errichtetes Haus. Sie werfen einen taxierenden Blick auf Garage, Vorgarten und
Autos in der Nachbarschaft. Selbst die Namen auf den Klingelschildchen werden
studiert, Fotos gemacht. Aufsehen wollen sie nicht erregen, der Architekt, der
Gebäudemanager, die Immobilienfachfrau und der Investmentbanker. Fünf Minuten
später sitzen sie wieder im Bus und machen sich Notizen zu Zustand und Lage des
Hauses, zum sozialen Umfeld. Tausendfach spielt sich diese Szene derzeit in
Deutschland ab, im Osten und Westen, vor Villen, Mietskasernen und
Eigentumswohnungen. Sie alle müssen von außen so genau wie möglich bewertet
werden. Die Stimmung im Bus ist verhalten. Das Scheitern, der Bankrott der anderen,
deren Häuser sie begutachten, schwingt mit. »Wir sind die Abgesandten der
Geier«, sagt einer von denen, die im Bus saßen. Geierfonds heißen die neuen Finanzvehikel trefflich, die sich seit ein paar
Monaten über Deutschlands faule Kredite und deren Sicherheiten hermachen. Sie
heißen Lone Star oder Cerberus. Aber auch namhafte Institute wie Citigroup und
Deutsche Bank mischen mit. Ende der Neunziger, nach der Asienkrise, hatten sie
in Thailand, Indonesien und Taiwan Station gemacht. Dort trafen sie auf ein zerrüttetes
Bankensystem, das der Last der faulen Kredite nicht mehr standhielt. Dort haben
sie aufgeräumt, einem neuen Denken im Umgang mit notleidenden Krediten Vorschub
geleistet, geholfen, die Krise zu lindern, und auch noch Geld verdient – so
wie in der US-Bankenkrise Ende der achtziger Jahre. Damals wurde die Idee
geboren. Ohne Problemkredite könnte sich der Profit verdoppeln Jetzt sind sie in Deutschland gelandet, in fünf bis sieben Jahren wollen sie
wieder weg sein. »Dann wird der Markt differenzierter und deshalb werden die
erwarteten Überrenditen passé sein«, glaubt Wolfgang Richter von der mit
Ernst & Young assoziierten Anwaltskanzlei EYLaw. Deutschland gilt
international im Geschäft mit leistungsgestörten Krediten als Emerging Market,
wo in der ersten Phase 20 bis 25 Prozent Rendite drin sein sollten, wie Ernst
& Young schätzt. Auf rund 300 Milliarden Euro veranschlagt das Beraterhaus
das Volumen an notleidenden Krediten hierzulande. Als leistungsgestört gelten
Kredite, die 90 Tage lang nicht bedient worden sind. In diesen Fällen hat der
Kreditnehmer bei einem Verkauf nichts zu melden. 300 Milliarden Euro sind das Aas, auf das sich die Geier stürzen, das Aas,
das das Resultat einer über mehr als zehn Jahre verfehlten Wirtschafts- und
Finanzpolitik ist. Den Anfang haben die Steuersubventionen für Ost-Immobilien
gemacht, später kam die Sparpolitik von Finanzminister Hans Eichel hinzu, die
den Abschwung verschärfte und die Insolvenzen und Arbeitslosigkeit in immer
neue Höhen trieb. Heute haben die Banken nach Rekordverlusten im vergangenen
Jahr vielleicht das Schlimmste überstanden, auf den notleidenden Krediten aber
sitzen sie noch immer. Da kommen die Fonds, die das Beiwort Geier gar nicht mögen
und sich selbst lieber Opportunity Fund nennen, gerade recht. Sie haben in
diesem Jahr faule Kredite für rund zehn Milliarden Euro gekauft, von
Unternehmenskrediten über gewerbliche Immobilienkredite bis hin zu Häuslebauerdarlehen. Warum verkaufen deutsche Banken ihre Problemkredite billig, damit andere ein
Geschäft machen können? Um das verstehen zu können, ist der Unterschied in
der Regulierung von Banken und Geierfonds einerseits bedeutsam sowie im Denken
andererseits. Früher haben sich die Banken für ihre Problemkredite geschämt. Sie haben
sie »nicht in die Öffentlichkeit getragen«, sagt Anke Sonnenburg von der
Eurohypo, die gerade ein Portfolio von 14000 notleidenden Hypothekenkrediten
verkauft hat. Die Banken bildeten zwar Wertberichtigungen für ihre
Problemkredite, verschwiegen aber deren Höhe. Diese Intransparenz wird heute
nicht mehr geduldet. Die neuen Eigenkapitalvorschriften, Basel II genannt,
verlangen eine deutlich höhere Unterlegung mit Eigenkapital. Demnächst müssen
Banken für die faulen Kredite bis zu fünfmal mehr Eigenkapital vorhalten als
heute. Das schränkt ihre Expansionsmöglichkeit und Rentabilität erheblich
ein. Eine Studie der Investmentbank CSFB vom Sommer hat das anhand der
HypoVereinsbank durchgerechnet. Würde die Bank ihr Portfolio an notleidenden
Krediten über geschätzte 25 Milliarden Euro auf einen Schlag loswerden, könnte
sich ihre Profitabilität verdoppeln. Das würde dem Rating und dem Aktienkurs
gut tun, erforderte aber noch einmal Abschreibungen über mehr als zwei
Milliarden Euro. Gerade diese Abschreibungen sind es, die viele Banken vor der
Radikalkur noch zurückschrecken lassen: Sie können sich die hohen Verluste
einfach nicht leisten. Doch nach Jahren steigender Wertberichtigungen ziehen
Analysten und Ratingagenturen »ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende
vor«, weiß Günther Gleumes, der bei der Citigroup das Deutschland-Geschäft
mit faulen Krediten mitverantwortet. Der Druck auf die Bankvorstände wächst. Für die Käufer dagegen, die keine Bank sind und deshalb auch nicht
besonders reguliert werden, handelt es sich bei den notleidenden Krediten um
ganz normale Assets. Sie haben die Kredite samt Sicherheiten mit einem Abschlag
zum vermuteten »fairen Wert« gekauft und wollen sie verwerten. Sie wetten
darauf, dass sie die Problemkredite schnell und gewinnbringend abarbeiten,
umstrukturieren oder weiterverkaufen können. Ihr Vorteil: Sie haben einen
Wissensvorsprung bei der Verwertung und besseren Zugang zu Risikokapitalgebern,
die nicht nur Eigenkapital, sondern auch Fremdkapital für solche Transaktionen
bereitstellen. Außerdem denken sie in Zahlungsströmen. Ihr Kalkül ist das des
internationalen Kapitalmarktes: Mehr ist besser als weniger, und heute ist
besser als morgen. Die Banken dagegen haben früher vor allem an der Werterhaltung des Kredites
Interesse gezeigt. Wenn auch nur eine winzige Wahrscheinlichkeit bestand, dass
der Schuldner in zehn Jahren Kredit und Zinsen tilgen konnte, dann haben sie
gewartet und gehofft, weiß Gleumes. Diese Strategie ging lange Zeit gut, da die
Preise auf dem Immobilienmarkt ständig stiegen, und damit nahm auch der Wert
der Sicherheiten zu. Die Mitarbeiter in den Abwicklungsabteilungen der Banken
haben »drei Jahre den Gummibaum angeschaut, dann hatten sich die Probleme von
selbst gelöst«, sagt eine Insiderin. Überhaupt schien für jemanden, der in
der Kreditabwicklungsabteilung gelandet war, die Karriere beendet. Die Stars der
Banken saßen im Neugeschäft. Sie haben mit den Kunden Geld verdient, zumindest
bei der Kreditvergabe. »Die Abwicklung wurde Mitarbeitern überlassen, denen
man Erfolge im Neugeschäft, ein gewinnendes Auftreten und besonderes
Verhandlungsgeschick nicht zugetraut hat«, sagt die Ex-Bankerin. Das alles ändert sich gerade grundlegend. Erstens fallen die
Immobilienpreise, weshalb die Strategie des Abwartens ausgedient hat. Zweitens
heißt es jetzt verwerten und nicht länger sanieren. Und drittens sind die
Mitarbeiter der Abwicklungsabteilungen für die Geierfonds die wichtigste Truppe
überhaupt. Gummibaum und Ärmelschoner haben dort ausgedient, an ihre Stelle
sind schnieke Büroräume und Leistungsanreize getreten. Die modernen Abwickler
fackeln nicht lange, wenn der Schuldner entweder heute 50000 Euro bezahlen könnte
oder in fünf Jahren 70000 Euro. Bei einem Abzinsungsfaktor, der zwischen 7 und
13 Prozent liegt, sind heute 50000 Euro eindeutig besser. Wer nicht kooperiert, bei dem wird sofort
zwangsvollstreckt Die Käufer der faulen Kredite haben es auch deutlich besser als die Banken,
da sie die Sicherheiten ja mit einem Abschlag zum derzeitigen »fairen Wert«
gekauft haben und die Kredite zu ganz anderen Konditionen in den Büchern stehen
haben, vielleicht zu 40 Prozent der ursprünglichen Summe, vielleicht zu 60
Prozent. Da ergibt sich Verhandlungsspielraum, der auch den Schuldnern zugute
kommen könnte. Ein Beispiel: Ein Darlehensnehmer kann seine ursprünglichen
Zins- und Tilgungszahlungen nicht mehr voll leisten, wohl aber noch 60 Prozent.
Der Geierfonds hat den Kredit zu 50 Prozent der ursprünglichen Summe in den Büchern
stehen und stimmt deshalb einer Umschuldung zu, die aus dem notleidenden wieder
einen bedienbaren Kredit macht. Ein weiterer Vorteil der Geier ist, dass sie nicht wie die Banken auf
Kundenbeziehungen angewiesen sind. Sie treffen nur einmal in ihrem Leben auf den
säumigen Schuldner. Zudem können sie ihre Schuldner je nach deren Zahlungsfähigkeit
leichter ungleich behandeln, als es Banken je könnten. Eine lokal verwurzelte
Bank könnte es kaum rechtfertigen, bei der einen Familie auf die Hälfte der
Kreditsumme zu verzichten, bei der Familie im Nachbarhaus aber auf 80 Prozent zu
bestehen. Den Geierfonds geht es einzig und allein darum, aus der Mischung ihres
Portfolios das Maximum rauszuholen. Vor allem die breite Diversifikation sorgt dafür, dass die Rechnung aufgehen
kann. Deshalb befindet sich in den verkauften Portfolios auch immer eine
Mischung aus »West- und Ost-Immobilien, guten und schlechten Lagen, großen und
kleinen Krediten«, sagt Elfi Garthe, Leiterin Corporate Finance bei Jones Lang
LaSalle, die Banken beim Verkauf immobilienbesicherter Kreditportfolios berät.
Die Geierfonds wiederum versuchen, die Portfolios im Vorhinein genau zu bewerten
und schicken dafür ihre Trupps los. »Der Verkaufsprozess ähnelt am Anfang
einem großen Pokerspiel«, sagt Sonnenburg. Bei den großen Krediten wird um
jeden Kredit gerungen, bei den kleinen um jede Kreditklasse. Je mehr
Informationen die verkaufende Bank stellen kann, desto besser der Preis. Werden die Geierfonds die Zitrone härter pressen können, sprich: die säumigen
Kreditnehmer stärker unter Druck setzen als die Banken? Einiges spricht dafür,
wenngleich die Verbraucherzentralen noch von keinen Beschwerden berichten können.
Aber der Prozess beginnt ja erst gerade. »Mehr als drei Monate hat kein
Schuldner Zeit, eine Lösung mit den neuen Besitzern der Kredite zu verhandeln«,
sagt ein Insider. Die neuen, aggressiveren Abwicklungseinrichtungen werden nur
einmal ausloten, ob es sich um »kooperative oder unkooperative« Schuldner
handelt. Bei unkooperativen wird die Zwangsversteigerung angeordnet. Basta.
Deshalb sollten die Schuldner auf jeden Fall »kommunizieren«, rät Helga
Springeneer vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Sie sollten nach Eingang
des Briefes der neuen Kreditgeber bei Schuldnerberatungsstellen Hilfe suchen,
Kassensturz machen und sich für Verhandlungen wappnen. Das
Verbraucherinsolvenzverfahren könnte sich oft als Alternative erweisen, meint
Springeneer, weil ab der Eröffnung ein Vollstreckungsverbot herrsche. Ob die Erwartungen der Geier aufgeht, steht auf einem anderen Blatt. Sie
wetten auf eine Stabilisierung des deutschen Immobilienmarktes – bei der
jetzigen Wirtschaftspolitik ist das gewagt. Wenn die Immobilienpreise um weitere
zehn Prozent fallen, dürften sie Verluste schreiben. Wenn Lone Star & Co.
in sieben Jahren ein neues Land ansteuern, wird hier nichts mehr so sein wie früher. |