Deutschland droht breite Altersarmut
Anja Lachmann macht sich keine Hoffnung: "Ich zahle hohe Rentenbeiträge,
aber bis ich so weit bin, ist das Töpfchen leer." Die 39-jährige
wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Berliner Pharmafirma gehört zu den
Babyboomern. Ihr Jahrgang 1964 war der geburtenstärkste in Deutschland, danach
schrumpfte die Geburtenrate.
Zweiklassensystem Altersvorsorge
Die promovierte Biologin denkt, dass sie zwar auch Sozialleistungen für Ältere
zahlt, aber nicht mehr auf die kleinere Generation nach ihr bauen kann. "Es
wird eine Basisversorgung geben, eine staatliche Pflichtversicherung für Rente
und Gesundheit", ist sie sicher. Den Rest müssten die Deutschen privat
finanzieren. "Es wird auf ein Zweiklassensystem hinauslaufen."
Familienausgleich
Das sagen Politiker aus Furcht vor dem Wahlvolk noch nicht. Jüngere denken
aber, dass die Deutschen samt Sozialsystem und Staatsausgaben über ihre Verhältnisse
gelebt haben. Und dass es ihnen vielleicht nicht mehr so gut gehen wird wie
ihren Eltern. Anja Lachmann hat wie 40 Prozent der Akademikerinnen ihrer
Generation keine Kinder. Da hält sie einen Ausgleich mit Familien für fair.
Vom Ernst der Lage überzeugen
Die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, Antje Hermenau, glaubt, dass die
Deutschen noch vom Ernst der Lage überzeugt werden müssen. "Unser System
ist wie eine Familie, bei der die Eltern ziemlich alt sind. Der Vater hat die
Arbeit verloren, und die Mutter macht einen Halbtagsjob."
"So quatschen wir uns noch alle besoffen"
In der Hoffnung, dass sich bald ein Job mit dreifachem Einkommen auftue,
finanziere die Familie das große Haus, die zwei Autos und das Studium der
Tochter zum Gutteil auf Pump. "So quatschen wir uns noch alle
besoffen", sagt die Haushälterin. Staat und Bürger sollten umdenken.
"Wir müssten in eine kleinere Wohnung ziehen, ein Auto verkaufen und die
Kinder einen Job finden, um ihr Studium mitzufinanzieren."
"Der Staat muss abspecken"
Sozialleistungen müssten zurückgefahren werden. "Es muss eben sicher
sein, dass keiner ganz durch den Rost fällt." Der Staat müsse abspecken,
auch damit die Menschen wieder angespornt seien. Deutschland wirkt im
internationalen Vergleich wie ein Sofahocker. Gerade Länder mit hohen
staatlichen Renten und Gesundheitsausgaben haben nach einer Studie des
US-Instituts Center for Strategic and International Studies (CSIS) den größten
Anteil Älterer. Das sind etwa Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich. Die
drei ersten haben zudem wenig Geburten von 1,1 bis 1,4 Kinder je Frau. Das
Institut hat die "Altersanfälligkeit" gemessen und argumentiert, in
diesen Ländern könnten die Systeme in zehn Jahren zahlungsunfähig sein.
Abgaben und Steuern könnten dann aber nicht steigen, weil sonst die Wirtschaft
schrumpfe. "Einigen Ländern steht eine gewaltige politische Krise
bevor", erklärt Paul Hewitt vom CSIS. "Das Fenster der Möglichkeiten
schlägt kurz nach dem Jahr 2010 zu."
Bescheidenere Sicherungssysteme
Im Schnitt kommt in Industrieländern heute ein Älterer mit über 60 Jahren auf
drei Erwachsene zwischen 15 und 59. 2040 werden es zwei auf drei sein, in
Deutschland drei auf vier. Relativ unbeschadet von der Alterung schneiden beim
CSIS nur Australien, Großbritannien und die USA ab. Dort sind Sicherungssysteme
bescheiden und private Vorsorge ausgeprägt. Zudem wird es dort mehr Junge
geben.
Politik hat keinen langfristigen Plan
Die OECD hat berechnet, dass der Staat seine Ausgaben bis 2030 bereits drastisch
zurückfahren müsste, damit überhaupt nur der Schuldenstand nicht weiter im
Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wächst. Um künftigen Generationen nicht
mehr Lasten als den heute Lebenden aufzuerlegen, müssten die öffentlichen
Ausgaben tatsächlich um zehn bis zwölf Prozent sinken oder die Abgaben
entsprechend steigen.
Regierung ohne Langfristlösung
Im Bundesfinanzministerium ist man sich der Dimensionen bewusst, hat aber keine
Langfristlösungen. Klar ist nur: Stehen weniger Erwerbstätige mehr Ruheständlern
gegenüber, werden ohne Gegensteuern die Ausgaben in den kommenden Jahrzehnten
drastisch steigen und die Steuereinnahmen sinken. Allein der Staatszuschuss zur
Rentenversicherung würde nach Berechnungen des Ministeriums ohne Reformen bis
2050 auf 80 Prozent der Bundesausgaben steigen. Zur Zeit liegt der Zuschuss
bereits bei 30 Prozent.
Erste vorsichtige Schritte
Nur vorsichtige Schritte gab es in Deutschland schon: Mit der Schaffung einer
kapitalgedeckten Säule der Alterssicherung ist die Marschrichtung vorgegeben.
Das reicht längst nicht, um allein die Probleme der gesetzlichen Rente lösen.
Beamtenpensionen sind Staatsschulden
Professorin Gisela Färber von der Verwaltungshochschule Speyer sieht noch
weitere Probleme. "Die künftigen Beamtenpensionen sind nichts anderes als
Schulden." Die Verpflichtungen tauchten aber noch nicht als Schulden im
Haushalt auf. Die Ökonomin schätzt, dass Bund, Länder und Kommunen zusammen
eine Pensionslast von 600 bis 700 Mrd. Euro aufgehäuft haben, die sie
irgendwann aus Steuern an ehemalige Staatsbedienstete zahlen sollen.
Zweigleisige Vorsorge
Anja Lachmann hat umgesteuert. Sie hat eine Lebens- und Rentenversicherung sowie
betriebliche Rente über die Firma. Und trotzdem ist sie nicht sicher, ob sie
sich mit 65 vom Arbeiten verabschieden kann: "Ich stelle mir vor, dass es für
uns geburtenstarke Jahrgänge hart wird, wenn die Jüngeren nicht mehr mitmachen
wollen wie bisher."
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